Zum Buch:
Eine der wirtschaftlich prosperiendsten Regionen unseres Planeten – Europa – liegt auf dem Seziertisch von Lorenzo Marsili und Niccolò Milanese. Ihr Buch: Wir heimatlosen Weltbürger. Die Diagnose: Ein Verbund von Ländern, dessen Mitglieder sich unter lukrativen Vorbedingungen zu einem gemeinsamen Europa zusammenschließen wollten; das Ergebis: Solidarität ist heute eine Einbahnstraße und finanzielle Zuwendungen zu Gunsten der Gemeinschaft oder gemeinschaftlicher Problemlösungen existieren nicht.
In dieser Gemengelage nationaler Egoismen sind Therapien eine Sisyphusarbeit. Die beiden Autoren gehen sie an mit dem Hinweis auf unendlich viele Initiativen, die dem transnationalen Gedanken verpflichtet sind. Die Erfolge aber halten sich in Grenzen.
Dutzende von politischen Initiativen, ob sozialistisch oder antifaschistisch geprägt, sind gescheitert. Internationale Organisationen sind meist wirtschaftlicher Natur: WTO, Weltwirtschafts-Forum und in seinem Gefolge das Weltsozialforum, das nach 2008 seine Stoßkraft verloren hat. Gewerkschaftliche Forderungen, die über nationales Rahmendenken hinausgehen, oder die Frauenbewegung bleiben in den nationalen Sandburgen einer unwilligen Politikerkaste stecken, die sich in milder Arroganz oder auch dummdreist über Versuche lustig macht, eine menschenfreundliche übernationale Politik zu fordern. Wo marktkonforme Politik Urstände feiert, ist übergreifendes solidarisches Denken nicht erwünscht. Auf dieser Ebene ist der Begriff der Transnationalität, der die Kleingeisterei nationaler Befindlichkeiten hinter sich lässt, ein zwar sperriges, aber doch einleuchtendes Schlagwort.
Wie weit sind Verträge international bindend, wenn jeder Staat sich anmaßt, nur die ihm genehmen Rosinen herauszupicken? Wozu internationale Verträge?
Die größte Herausforderung, der sich die Europäer hätten stellen müssen, ist die Wanderungsbewegung aus den armen, den kriegsgeschüttelten Staaten, den Staaten, die Europa ausgeplündert hat. Hier ist die Solidarität einer 5oo Millionen Menschen starken Gemeinschaft schändlich gescheitert. Der Grund? Siehe oben.
Transnationalität: Ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen? Nein, sagen die Autoren. Europa muss den nationalstaatlichen Rahmen hinter sich lassen, sich einlassen auf ein fast anarchistisches Prinzip, bei dem jeder Einzelne aus Einsicht und in Entscheidung an einem großen Einigungswerk mitarbeitet, jenseits aller nationalen Kungeleien. Es müsste ein individualistisches, solidarisches Europa sein: EUROTOPIA.
Wo sollen wir anfangen? Archimedes sagte zu seiner Zeit: Gib mir einen festen Punkt und ich werde die Erde bewegen. Wir müssen es auch ohne festen Punkt wagen. Alles andere wäre Defätismus.
Marsili und Milanese versuchen, die Europäer aus ihrer (selbstverschuldeten) politischen Passivität aufzurütteln. Bei ihrem Schlusswort klingeln einem die Ohren: „Transnationalismus oder Barbarei.“
Notker Gloker, Heiligenberg