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Barbarentage

Autor
Finnegan, William

Barbarentage

Untertitel
Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels
Beschreibung

Im Alter von 13 Jahren begann William Finnegan zu surfen. Damals lebte seine Familie in Hawaii – dem Ursprungsland des Surfens. Nur dass zu dieser Zeit noch nicht Massen von Menschen nach einem dreitägigen Kurs auf jeder Welle herumrutschten. Surfen war eine Sache weniger Enthusiasten und hat Finnegan nicht mehr losgelassen. Barbarentage ist seine Autobiographie und geht weit über das Meer, die Wellen und das Surfen hinaus – auch wenn seine Surfleidenschaft sein Leben und seine Beziehungen bestimmt. Es ist ein Buch über das Heranwachsen eines Jungen in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – einer Zeit, in der die Welt offen schien für jedes Abenteuer. Eine hochinteressante und packende Lektüre, für die Finnegan 2016 den Pulitzer-Preis erhielt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2018
Seiten
566
Format
Kartoniert
ISBN/EAN
978-3-518-46873-9
Preis
18,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

William Finnegan, geboren 1952, arbeitet seit 1987 als Journalist für den New Yorker. Er schrieb vielbeachtete Reportagen über den Bürgerkrieg im Sudan, das Apartheidsregime in Südafrika und Neonazis in Kalifornien und arbeitete als Kriegsreporter. Finnegan surft seit seinem elften Lebensjahr, mit Barbarentage gewann er 2016 den Pulitzer-Preis in der Kategorie »Autobiografie«.

Zum Buch:

Fragt man im Bekanntenkreis herum, warum Menschen die Autobiografie einer fremden Person lesen, erhält man häufig die gleichen Antworten: Weil man die Kenntnisse über jemanden vertiefen will, der einen bereits interessiert oder der im Zusammenhang mit einem Thema steht, das einen fesselt. Wie aber steht es mit Personen oder Themen, die wahrscheinlich nur einem kleinen Kreis von Menschen wirklich bekannt sind? Weshalb soll man die Autobiographie eines Surfers lesen, eines passionierten, inzwischen über sechzigjährigen amerikanischen Wellenreiters, und wieso erscheint ein solches Buch im Suhrkamp-Verlag, der wirklich nicht als ausgewiesener Verlag für Sportenthusiasten gilt? Die Antwort: Weil dieses Buch von viel mehr handelt, als nur von Männern auf Brettern.

William Finnegan ist 13 Jahre alt, als seine Familie von Los Angeles nach Hawaii zieht, wo der Vater im Filmgeschäft tätig ist. Die liberal eingestellten Eltern schicken den Jungen, wie sie das aus LA gewohnt waren, auf eine öffentliche Schule, nicht ahnend, dass die Verhältnisse dort von Gewalt und Hass auf Weiße geprägt sind. Finnegan geht hier wahrhaftig durch eine harte Schule und lernt, sich durchzubeißen. Sein angeschlagenes Selbstbewusstsein kuriert er beim Surfen – zu damaliger Zeit alles andere als ein Massensport. Das Meerwird zu Finnegans Schule des Lebens, zu einer nicht enden wollenden Herausforderung, der er alles unterordnet, auch seine Beziehungen. Auf der Suche nach DER Welle reist er um die Welt. Allein, mit Freunden. Nach Indonesien, Australien, Südafrika. Es sind die sechziger und siebziger Jahre, die Zeit des „endless summer“, in der alles möglich scheint und das „normale“ Leben der Erwachsenen in Amerika sehr weit weg ist.

Obwohl Surfen Finnegans Lebensmittelpunkt ist und er öfter, als er eigentlich sollte, auf dem Brett steht, beendet er die Schule, macht mehrere Studienabschlüsse, lernt verschiedene Sprachen, liest – selbst an den entlegensten Orten – wie ein Besessener. Und er schreibt. Tagebuch, Briefe und vereinzelt Reportagen für Surfmagazine. Aber das Wichtigste bleibt für lange Jahre das Austesten der eigenen Grenzen in den Wellen – manchmal knapp am Ertrinken vorbei. Surfen bestimmt sein Leben in einem Maße, das einer Sucht nahekommt. Auch in späteren Jahren, als Erwachsener, als er zunächst in Südafrika zur Zeit der Schüleraufstände gegen die Apartheit in einer Schule für schwarze Kinder arbeitet oder später als Journalist für den New Yorker in den Krisengebieten der Welt unterwegs ist und mehrere Bücher verfasst, bleiben die Wellen der Ort, an dem er alles andere vergisst und mental wie psychisch wieder auftankt.

Barbarentage ist ein vielschichtiger Text. Ein Buch über die Hingabe an einen Sport, über den Preis dafür und über die Erfüllung, die der Autor darin findet. Über Einzelgängertum, über das Gruppenverhalten der Männer auf den Brettern (und es sind NUR Männer!) und die Hackordnung in den Wellen. Darüber, dass Surfen nicht nur bedeutet, sich blindlings ins Wasser zu stürzen, denn es ist lebenswichtig, das Meer genau zu beobachten, manchmal stundenlang, bevor man hineingeht, um die Bodenbeschaffenheit und die Windrichtungen zu erkennen und zu wissen, wann und wie die rasenden Ungetüme brechen werden. Es erzählt, wie Surfen im Laufe der Jahre immer kommerzieller wird und die ehemals entlegenen „Paradiese“ in Touristenorte verwandelt – mit allen Vor- und Nachteilen für die dortige Bevölkerung. Es ist ein Buch über Leidenschaft und Freundschaft, über lebenslange Selbstzweifel und darüber, wie es ist, in einem solchen Sport das Nachlassen der körperlichen Kraft und des Reaktionsvermögens zu erleben.

Barbarentage ist eine packende und interessante Lektüre, und man muss keine Wasserratte sein, um sich von diesem Buch fesseln zu lassen – die Jury des Pulitzer-Preises, den Finnegan für seine Autobiografie erhalten hat, wird sicherlich nicht nur aus Sportlern bestanden haben.

Eine Einschränkung muss jedoch gemacht werden: Für das internationale englische „Surfer-Fachvokabular“, das schwer ins Deutsche zu übertragen wäre, gibt es am Ende des Buches ein langes Glossar. So wird zwar das Verständnis der Ausdrücke erleichtert, der Text aber, wenn zu viel von „swell“, „lineup“ „spots“ „takeoff“ u.ä. die Rede ist, manchmal etwas holperig. Wahrscheinlich ist das kaum zu vermeiden, aber dennoch schade, denn Finnegan kann durchaus wortgewaltig und mitreißend erzählen.

Ruth Roebke, Bochum