Zum Buch:
Das Schiff war verloren. Noch während der Sturm tobte und haushohe Wellen auf das Deck niedergingen, war es allein dem verletzten Kapitän, dem Maschinisten, dem Koch und einem leicht verängstigten Korrespondenten gerade noch rechtzeitig gelungen, sich in eines der noch halbwegs intakten Beiboote zu retten. Doch selbst für diese vier Männer war das Boot bei weitem zu klein, so dass es eine Anstrengung war, während der rollenden Bewegungen die Plätze zu wechseln und sich beim Rudern an den Riemen oder beim Wasserschöpfen abzulösen. Tagsüber, wenn der Sturm es zuließ, setzten sie ein behelfsmäßiges Segel, das sie aus einem der Riemen und einem Mantel gefertigt hatten. Nachts lagen sie eng zusammengekauert und völlig durchnässt im Bootskiel und froren im eisigen Januarwasser. Mehrmals tauchte ein riesiger Hai auf und rieb sich an den dünnen Planken.
Dann, eines Morgens, entdeckten sie am Horizont, klein wie eine Nadelspitze, einen Leuchtturm. Ein günstiger Wind trieb sie weiter darauf zu, so dass sie verfolgen konnten, wie die Küste allmählich Gestalt annahm: ein karger, felsiger Landstrich, dessen gewaltige Brandungswogen ihnen zusehends mehr Angst einflößten, je näher sie ihrem Ziel kamen. Die vier von Durst und Hunger geplagten Männer waren sich darüber einig, dass sie den Versuch wagen mussten, diese Brecher zu überwinden. Also schlossen sie ihre Hände zum gemeinsamen Gebet zusammen und steuerten dann auf die Küste zu. Nur drei von ihnen sollten es schaffen.
Wenn Stephen Crane vom Meer erzählt – oder besser gesagt, vom Schiffbruch –, dann weiß er ganz genau, wovon er spricht, denn jene erste, titelgebende Geschichte beruht auf Ereignissen, die er selbst als junger Mann miterlebt hat. Cranes Erzählungen, die meistenteils hier zum ersten Mal auf Deutsch vorliegen, zeugen von einer Meisterschaft der realistischen Erzählkunst, und es ist schlichtweg eine Freude und Kurzweil, diese eindringlichen Schilderungen auf sich wirken zu lassen. Stephen Crane schreibt eigentlich nicht, vielmehr benutzt er einen weichen Pinsel, dazu satte, aber unaufdringliche Farben – und damit malt er.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln