Zum Buch:
Kann man etwas zu seiner Heimat machen, wenn man die eigene an die Geschichte verloren hat? Einen Beruf etwa oder einen Mann? Reicht es, wenn man in der Wohnung eine Parzelle einrichtet mit Erinnerungen an diese Heimat, an die Menschen dort, die Gerüche und die Sprache? Ein Quadratmeter, der nur einem selbst und der Vergangenheit gehört? Wer wirklich wissen will, wie es sich anfühlt, als Kind das geliebte Land und den Vater zurückzulassen und neu anzufangen, der sollte diesen Roman lesen.
Nilous Vater ist ein gütiger, ein intelligenter, weltoffener Mann, der die altpersische Lyrik verehrt. Als seine Frau, praktizierende Christin und in einem Heilberuf mit eigener Praxis tätig, zum zweiten Mal im Iran der späten 1980-Jahre von der Sittenpolizei aufgegriffen wird, sorgt er dafür, dass sie mit Nilou und ihrem jüngeren Bruder das Land verlassen und in die Staaten immigrieren kann. Aber er selbst bleibt im Iran des Ayatollah, bei seiner Zahnarztpraxis, dem Dorf seiner Familie und seinem Opium, das er stets in erreichbarer Nähe braucht.
Nilou ist ehrgeizig, schlau, sie will ihre Vergangenheit hinter sich lassen, macht in den USA Karriere als Wissenschaftlerin, heiratet einen französischen Juristen, lebt und arbeitet mit Anfang Dreißig in Amsterdam. Ihr Mann Guillaume ist es, der merkt, dass ihr etwas fehlt. Und als Nilou sich dann auf die Suche nach ihrer Sehnsucht macht, wird er es sein, der den Preis dafür bezahlt.
Eine Familiengeschichte von Heimat und Exil erzählt Dina Nayeri in ihrem neuen Roman, und das im Spiegel der Weltgeschichte von 1987 bis heute. All ihren Figuren begegnet man mit großem Respekt, und das ist eine sehr schöne Leseerfahrung, zugleich aber auch ein leiser Hinweis, wie man sich der aktuellen Flüchtlingsthematik auch nähern könnte.
Susanne Rikl, München