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Die Kieferninseln

Autor
Poschmann, Marion

Die Kieferninseln

Untertitel
Roman
Beschreibung

Gilbert Silvester hat nachts geträumt, seine Frau Mathilda betrüge ihn. Zutiefst schockiert und eingekapselt in eine Blase aus Selbstgerechtigkeit packt er eine Reisetasche, fährt zum Flughafen und steigt in das nächste Flugzeug nach Tokyo. Tokyo, weil es weiter kaum geht und fremder auch nicht.

Nachdem er im Bookshop am Flughafen Werke des Klassikers der Haiku-Dichtung Basho gekauft hat beschließt er, dessen Pilgerfahrt zu den berühmten Kieferninseln zu wiederholen. Zufällig trifft er auf den Studenten Yosa, der ebenfalls unterwegs zu einem Pilgerziel ist. Dessen Reiseführer ist allerdings The Ccomplete Manual of Suicide.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2017
Seiten
168
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-518-42760-6
Preis
20,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Marion Poschmann, 1969 in Essen geboren, studierte Germanistik und Slawistik und lebt heute in Berlin. Für ihre Prosa und Lyrik wurde sie vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Peter-Huchel- Preis und den Ernst-Meister-Preis für Lyrik; ihr Roman Die Sonnenposition stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und gewann den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2013.

Zum Buch:

Das Buch beginnt wie ein Lehrstück aus Paul Watzlawicks Klassiker Anleitung zum Unglücklichsein: Gilbert Silvester, drittmittelfinanzierter Privatdozent und Bartforscher, hat nachts geträumt, seine Frau Mathilda betrüge ihn. Zutiefst schockiert und eingekapselt in eine Blase aus Selbstgerechtigkeit wirft er ihr zwar nicht Watzlawicks: „Behalten Sie Ihren Hammer, sie Rüpel“ entgegen, sondern packt eine Reisetasche, fährt zum Flughafen und steigt in das nächste Flugzeug nach Tokyo. Tokyo, weil es weiter kaum geht und fremder auch nicht.

Da sämtliche Gespräche mit Mathilda, telefonisch oder per SMS, ihn im Glauben an ihre Untreue bestärken, beschließt er, nachdem er im Bookshop am Flughafen Werke des bedeutenden Haiku-Dichters Bahsho gekauft hat, dessen Pilgerfahrt zu den berühmten Kieferninseln zu wiederholen – mit modernen Verkehrsmitteln allerdings.

Zufällig trifft er den jungen Studenten Yosa Tamagotchi, der aus Prüfungsangst Selbstmord begehen will. Im Gefühl des eigenen Verantwortungsbewusstseins schwelgend, entschließt sich Silvester, den jungen Mann von seinem Vorhaben abzubringen, und überredet ihn, ihn zu den berühmten Kieferninseln – angeblich dem perfekten Platz für einen Selbstmord – zu begleiten. So beginnt die Reise zweier Menschen mit völlig verschiedenen Zielen: Silvester hofft, seinem inneren Aufruhr, den ständig um Mathilda kreisenden Gedanken zu entkommen und in der Betrachtung der Natur und der Lektüre der Haikus zu Ruhe und Frieden zu finden. Yosas Reiseführer dagegen ist The Complete Manual of Suicide.

Die nun folgende Beschreibung ihrer Fahrt ist an Doppeldeutigkeit, Komik, Traurigkeit, Absurdität und Tiefgründigkeit kaum zu überbieten. Ob sie nun Orte von Bashos Pilgerreise oder erhabene Plätze für Selbstmorde aufsuchen, alle stellen sich als verunstaltete Betonpisten, Bauplätze oder einfach nur banale Orte des modernen Japan heraus. Während Silvester verbissen noch in dem durch eine Verkehrsinsel zubetonierten Okino Ishi, dem Stein im Meer, den Atem des alten Japans spüren will, entschuldigt sich Yosa zu seinem Ärger permanent für dessen Hässlichkeit.

Man sollte das Buch genau lesen, ist doch vieles an den leicht erzählten Passagen anders, als es zu sein scheint. Nicht nur entspricht keiner der besuchten Orte der Vorstellung der beiden Reisenden, zunehmend entschwindet auch der sowieso nur notdürftige Realitätsgehalt der Reise. Auch der penetrante Silvester entpuppt sich in seinen – tatsächlich abgeschickten? – Briefen an Mathilda als subtiler Liebhaber der japanischen Kultur, während Yosa sich irgendwann in Luft auflöst und man sich fragt, ob es ihn jemals gegeben hat. So schwebt dieser hochkomisch-poetische Text zunehmend zwischen Traum und Wirklichkeit, Innen und außen und ist dabei in höchstem Maße unterhaltsam. Das wäre allemal den Buchpreis wert gewesen!

Ruth Roebke, Bochum