Zum Buch:
Der fünfjährige Gustav Perle lebt mit seiner Mutter Emilie in einer ärmlichen Wohnung in der kleinen Schweizer Stadt Matzlingen. An seinen Vater kann er sich nicht erinnern; er weiß nur von seiner Mutter, dass der ein Held war, auch wenn das niemand je anerkennen würde. Emilie arbeitet in einer Käsefabrik, um sich und ihren Sohn durchzubringen, aber die Arbeit ist prekär, und oft reicht das Geld kaum für das Nötigste. Ihrem Sohn bringt sie bei, „sich zu beherrschen“ – Beherrschung sei die Eigenschaft, die die Schweiz groß gemacht habe. Sie sorgt sich um sein Fortkommen, aber Zärtlichkeit, Freude, Liebe kann sie ihm nicht geben. All das findet Gustav bei der Familie seines Freundes Anton, den er in der Vorschule kennenlernt und die ihn mitnimmt in ihre Wohnung, zum Eislaufen und einmal sogar zu einem Urlaub nach Davos. Emilie ist von der Freundschaft wenig begeistert, zumal die Bankiersfamilie Zwiebel ausgerechnet in der gutbürgerlichen Straße wohnt, in der sie selbst gelebt hat, bevor ihr Mann seine Stellung verlor …
Und damit fing es an handelt auf sehr leise, aber gerade deshalb äußerst eindrucksvolle Weise von dem großen Thema der Liebe. Emilie hat sich ihren Mann ausgesucht, um nicht von ihrer hübscheren Freundin ausgestochen zu werden – und damit die falsche Wahl zum falschen Zeitpunkt getroffen. Unter dieser falschen Wahl leidet nicht nur sie, sondern auch ihr Mann, der – zu spät – in der Frau seines Vorgesetzten die Liebe seines Lebens findet. Gustav liebt seine Mutter und leidet unter ihrer Unfähigkeit, ihn zu lieben. Und er liebt seinen Freund Anton, der ihn immer wieder verlässt. Ganz behutsam deckt Rose Tremain Schicht für Schicht die Lebensumstände der Protagonisten auf, die fast zwangsläufig zu ihren fast immer falschen Entscheidungen führen, und sie tut das so meisterhaft, dass der Leser der Innenwelt der Figuren quasi immer einen Schritt voraus ist und die Urteile fällt, deren sich die Autorin völlig enthält. Vorgeführt wird zunächst das Scheitern von Menschen, weniger an ihren Umständen als vielmehr an sich selbst, an ihrer Unfähigkeit, „die Menschen zu werden, die wir schon immer hätten sein sollen“ – und am Ende in einer so unerwarteten wie schlüssigen Wendung schließlich doch noch ein glückliches und glücklich machendes Gelingen.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main