Zum Buch:
Der androgyne Marl trifft nach zwanzig Jahren auf einen seiner Mobber aus der Schulzeit und verbringt die Nacht mit ihm. Eine junge Frau findet in ihrer Anstellung als Haushaltshilfe vermeintlich doch noch zu ihrem Ideal und kümmert sich um die Lage des Haushalts auf die gleiche stille Weise wie um das Begehren des Mannes.
Amanda Lee Koe gelingt es in ihren Geschichten ein ebenso realistisches und einfühlsames wie erschreckendes Bild weiblicher Realitäten zu zeichnen. Am aufwühlendsten bleibt dabei der große Abstand, der zwischen dem Titel des Erzählbandes und dem Ton der Erzählungen selbst besteht: die öffentliche Erregung – the moral panic, wie es im Originaltitel heißt – bleibt aus. Die teilweise grausamen Schicksale der Personen werden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder aber als hinnehmbar akzeptiert. Es sind Geschichten voller Einsamkeit, Sehnsucht, konstanter Selbstzügelung und Unterwerfung, die ihre Spannung daraus beziehen, dass sie sich in einem unaufgeregten Tonfall allesamt quasi selbst zum Schweigen bringen, sich auflösen, weil sie angeblich nicht der Rede wert sind.
Dennoch liegt in diesen Erzählungen weder Zynismus noch Empörung im eigentlichen Sinne. Sie zeichnen sich durch eine geradezu unheimlich genaue Beobachtungsgabe aus. Die Sprache ist präzise, die Situationen sind sehr genau durchkomponiert; ohne dabei distanziert zu sein und an Eindringlichkeit zu verlieren. Amanda Lee Koe wurde bereits mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet, zuletzt kam sie auf Platz 1 der LitProm-Bestenliste “Weltempfänger”. Und das sehr verdient. Diese junge Autorin ist ein Ausnahmetalent, das wahrzunehmen und weiterzuempfehlen sich lohnt.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt