Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Martel, Yann

Schiffbruch mit Tiger.

Untertitel
Roman. Aus d. Engl. v. Manfred Allie u. Gabriele Kempf-Allie
Beschreibung

Schiffbruch mit Tiger? Diese Geschichte würden Sie nicht glauben? Kein Wunder. Fantastisch. Verwegen. Atemberaubend. Wahnsinnig komisch. Eine Geschichte, die Sie an Gott glauben lässt.

Pi Patel, der Sohn eines indischen Zoobesitzers und praktizierender Hindu, Christ und Muslim erleidet mit einer Hyäne, einem Orang-Utan, einem verletzten Zebra und einem 450 Pfund schweren bengalischen Tiger namans Richard Parker Schiffbruch. Bald sind alle erledigt – alle, außer Pi. Alleine treiben sie in einem Rettungsboot auf dem Ozean. Eine wundersame, abenteuerliche Odyssee beginnt.
(Klappentext)

Verlag
Fischer, 2004
Format
Taschenbuch
Seiten
381 Seiten
ISBN/EAN
978-3-596-15665-8
Preis
9,95 EUR

Zum Buch:

Als sich mir kürzlich die Gelegenheit bot, Yann Martell bei einem seiner raren Auftritte vor Publikum und dann auch noch an einem so vortrefflich zu seinem wunderbaren Buch passenden Ort wie dem Raubkatzenhaus des Frankfurter Zoos bei einer Lesung erleben zu können, zögerte ich nicht lange. Nach wie vor ist es für mich ein besonderer Genuss, man könnte auch sagen, die Verdoppelung des stillen Lesevergnügens, einen Autor seinen eigenen Text gekonnt vortragen zu hören. Meine Erwartung auf einen höchst vergnüglichen und anregenden Abend hat Yann Martell nicht enttäuscht, obwohl ich das Buch bereits ganz verschlungen hatte. Allein die Passagen, in denen einige der indischen Protagonisten seines Romans zu Wort kommen, mit kundiger Stimme vorgelesen zu bekommen, war ein Vergnügen, versetzt der Klang und unverwechselbare Singsang des indischen Englisch doch alle, die ihn kennen, sofort in “den Ansturm, den Lärm, die Lebendigkeit des Irrsinns Indien”, wie Martell so treffend schreibt. Indien, genauer gesagt das südindische Pondichery, noch genauer der Zoo dieser ehemaligen französischen Enklave auf dem Subkontinent, ist neben den unermesslichen Weiten des Pazifischen Ozeans Hauptort des Geschehens und Ausgangspunkt eines geradezu unglaublichen Abenteuers. Erzählen von Katastrophen oder gefährlichen Abenteuern können immer nur die Überlebenden. Somit ist von Anfang an klar, dass zumindest eine Person den Schiffbruch überlebt haben muss, den der Roman im Titel führt. Der da erzählt, ist Piscine Molitor Patel, genannt Pi. Er ist der jüngere von zwei Brüdern, deren Vater einst Direktor und Eigentümer des Zoos in Pondichery war. Dass der Vater sich eines Tages entschloss, seinen Zoo aufzugeben, alle Tiere, soweit möglich, zu verkaufen oder zu verschenken, um mit der ganzen Familie nach Kanada auszuwandern, endet tragisch. Auf der Überfahrt mit einem japanischen Frachter, eine stattliche Anzahl von Tieren mit an Bord, unter anderem der bengalische Tiger mit dem sonderbaren Namen Richard Parker (wie er zu ihm kam, ist eine andere wunderbare Geschichte) kommt es zu dem Schiffbruch. – Aber halt, da sind wir ja schon mittendrin in der phantastischen Erzählung, dabei ist doch mindestens so bemerkenswert, wie der Autor zu ihr kam: Ein junger Autor, eingestandenermaßen Alter Ego Yann Martells, reist nach Indien, um dort einen Roman zu schreiben. Das Vorhaben misslingt, aber an seine Stelle treten Geschichten, Anekdoten und Erlebnisse, die ihm in Indien erzählt werden. In einem Kaffeehaus erfährt er von einer Geschichte, die ihm als so unglaublich angekündigt wird, dass sie ihm zweifellos den Glauben an Gott wiedergeben werde. Er hört zu. Es ist die Geschichte des Schiffbruchs von Piscine Patel, der sich einige Jahre zuvor zugetragen hatte. Wieder zurück in Kanada, gelingt es dem Autor, den Überlebenden ausfindig zu machen und ihn dazu zu bewegen, von seinem Schiffbruch und seinem an ein Wunder grenzendes Überleben zu erzählen – voilà: der “Schiffbruch mit Tiger”. Zwar verrät uns schon der Klappentext alle wesentlichen Eckdaten, und der geradezu kongeniale Schutzumschlag illustriert zutreffend die Situation, in der Pi sich nach dem Untergang des Frachters wiederfindet. Der Roman ist dennoch spannend, und er wirft existenzielle philosophische Fragen auf, nach dem, was uns in der Welt und am Leben hält. Dass Pi als eifrig praktizierender Anhänger dreier Weltreligionen besondere Überlebenskräfte mobilisieren kann, überrascht vielleicht wenig. Um zu erfahren, wie es dem Jungen, der schon in der Schule wegen seines Namens verspottet wurde und dem es trotzdem gelang, sich bei seinen Mitschülern Respekt zu verschaffen, möglich war, monatelang mit einem hungrigen Tiger in einem Rettungsboot zu überleben, muss dieses beeindruckende Buch dennoch selber lesen. Dass die Lektüre ein großes Vergnügen ist, erwähnte ich ja bereits. Wer außerdem die Gelegenheit erhält, Yann Martell aus seinem Roman vorlesen zu hören, sollte sich auch dieses Erlebnis nicht entgehen lassen. An dem besagten Abend im Frankfurter Zoo wurde der deutsche Text allerdings von Ilja Richter gelesen, der auch Sprecher des Hörbuchs “Schiffbruch mit Tiger” ist. Nach dem Live-Hörerlebnis kann ich dafür keine Empfehlung abgeben: Mit übertriebener Emphase und theatralischem Gestus hat Richter dem Text von Yann Martell seinen Stempel aufzudrücken versucht. Eine zurückhaltendere Interpretation wäre dem Text nach meiner ‘Lesart‘ angemessener gewesen.

Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt.