Zum Buch:
Hüseyin Ilmaz hat sich einen Traum erfüllt: Nach dreißig Jahren Fabrikarbeit in Deutschland, kurz vor der Frührente, steht er in Istanbul in der frisch renovierten Wohnung, die er für sich und seine Familie gekauft hat und in der er mit seiner Frau seinen Lebensabend verbringen will, sobald der jüngste Sohn die Schule beendet hat. Ein Zuhause für die ganze Familie soll es sein, fern von Deutschland, „diesem kalten, herzlosen Land“, eine wahre Heimat in der Hitze einer Stadt, die er in Wirklichkeit kaum kennt und in der er nach dem überstürzten Aufbruch aus seinem kurdischen Dorf nur ein paar Tage verbracht hat. Aber der Traum wird sich nicht erfüllen: Hüseyin stirbt in dieser Wohnung an einem Herzinfarkt. Der Anruf mit der Todesnachricht ist ein Schock für die Familie in Deutschland, die sich zudem in Windeseile in Istanbul einfinden muss, denn der Tote muss innerhalb von 48 Stunden beerdigt werden.
Fatma Aydemir lässt die vier Kinder ihre Erinnerungen an den Vater und die Familiengeschichte erzählen – in einer je eigenen Sprache und aus je eigener Perspektive. So setzt sie allmählich das eindrückliche Bild einer Einwandererfamilie in Deutschland zusammen, geprägt von den gescheiterten Hoffnungen der Eltern und dem Kampf um ein eigenes Leben, geprägt aber auch von Erinnerungen der Eltern, die sie nicht zur Sprache bringen können und die ihr eigenes Leben genauso überschatten wie das der Kinder.
Das ist atmosphärisch so dicht und sprachlich so genau, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Gerahmt werden die Erinnerungen der Kinder von denen des sterbenden Vaters und am Ende der Mutter, die nicht erzählen, sondern von einem unbekannten, geheimnisvollen „Du“ angesprochen werden – einem der titelgebenden Dschinns vielleicht? –, das sie so sanft wie unerbittlich zur Wahrheit und im letzten Kapitel zu den Möglichkeiten einer Versöhnung führt.
Dschinns füllt auf manchmal geradezu beängstigende Weise die Leerstellen in einer – in jeder? – Familie, die ein Überleben einerseits erschweren, andererseits aber erst ermöglichen können, weil das Aussprechen des Unausgesprochenen manchmal einfach nicht zu ertragen zu sein scheint. Dieser literarisch herausragende Familien- und Gesellschaftsroman kann gar nicht genug empfohlen werden!
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.