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Verdunstung in der Randzone

Autor
Matusko, Ilija

Verdunstung in der Randzone

Beschreibung

Was prägt uns? Was macht uns aus? Oder anders gesagt: Wie lässt sich Identität definieren, wenn die eigene Herkunft mit einem unverkennbaren Geruch behaftet ist? Aufgewachsen in einer gescheiterten Gastronomenfamilie blickt Ilija Matusko in seinem autobiografischen Debütroman auf das zurück, wofür er sich in seiner Kindheit schämte: Die Armut. Die billigen, markenlosen Klamotten und Schuhe. Die Hänselei. Und nicht zuletzt auf den Geruch der Arbeiterklasse, der ihm ständig wie ein Makel erschien.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2023
Seiten
238
Format
Taschenbuch
ISBN/EAN
978-3-518-12810-7
Preis
17,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Ilija Matusko, geboren 1980, hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert, lebt und arbeitet in Berlin, u. a. für die taz. Er war Stipendiat im Herrenhaus Edenkoben, im Alfred-Döblin-Haus und im Künstlerdorf Schöppingen. Verdunstung in der Randzone ist sein Debüt, für das er vor Erscheinen ein Stipendium des Fritz-Hüser-Instituts erhielt.

Zum Buch:

„Erinnerungen sind wie Stammgäste, die immer am selben Tisch sitzen“, sagt Ilija Matusko, dessen Kindheitserinnerungen untrennbar mit dem Leben in der Gastronomie verbunden sind: Da ist der Vater, den es aus ärmlichen Verhältnissen in Herzegowina nach Deutschland verschlagen hat und der von früh bis spät in der Küche seiner Gaststätte steht und von einem Wohlstand träumt, der nie eintreten wird. Dann die Mutter, eine gebürtige Bayerin mit starkem Akzent, die in den kurzen Pausen in ihrer Kellnerinnenschürze an Tisch 1 sitzt und Rechnungen abheftet oder mit dem Kopf auf den Armen schläft. Da ist die Schwester, die bereits mit acht Jahren Bier zapfen konnte – und schließlich er selbst, Ilija, wie er die Spülmaschine oder, unter den wachsamen Augen des Vaters, die Fritteuse bedient.

Was ihm – und seinen Familienmitgliedern – stets wie der Stallgeruch einer Branche anhaftete, war der Geruch nach Fett, der selbst nach täglichem Duschen oder dem übermäßigen Gebrauch von Parfüm nicht weichen wollte – und für den sich Ilija oft genug in der Schule Sprüche anhören musste wie: „Es riecht nach Pommes, Ilija kommt!“

Wenn Ilija Matusko, der es nach eigener Aussage vom Tellerwäscher zum Autor, der übers Tellerwaschen schreibt, gebracht hat, heute auf Lesungen diese Anekdote erwähnt, erntet er meist Lacher aus dem Publikum. Dabei meint er es vollkommen ernst: Wie definieren wir Identität, wenn die eigene Herkunft unweigerlich mit einem spezifischen Geruch verknüpft wird?

In den achtziger Jahren aufgewachsen, blickt Matusko in seinem autobiografischen Debütroman mit enormen Feingefühl für Offenheit und Details aus der Halbdistanz des Autors auf das zurück, wofür er sich in seiner Kindheit schämte: Die beständige Armut. Die billigen, markenlosen Klamotten und Schuhe. Die Hänselei in der Schule. Und nicht zuletzt jener Geruch der Arbeiterklasse, der ihm wie ein unauslöschlicher Makel anzuhaften schien.

In einem Amalgam aus Reminiszenzen, teils holprigen, bewusst willkürlichen Gedankensprüngen, der passgenauen Verwendung origineller Philosophen-Zitate und dem Gespür für Situationskomik überzeugt Verdunstung in der Randzone allem voran durch die schiere Unbefangenheit des Autors, der sich nicht scheut, auch Wunden zu offenbaren. Selten habe ich derart den Wunsch verspürt, einen Schriftsteller bei einer Lesung live zu erleben,

Axel Vits, Köln