Zum Buch:
Mammut von Eva Baltasar ist ein schmaler, präziser Text über die Widersprüchlichkeiten eines selbstbestimmten Lebens unter den gegebenen Verhältnissen, über die Fremdbestimmung weiblicher Körper und die Monstrosität des menschlichen Miteinanders. Es ist aber auch ein Versuch über den Wunsch nach mehr, nach einem anderen Leben, einem Spüren seiner selbst und dem eigenen Körper und nach einer Rohheit, die von nichts anderem überlagert wird.
Auf dieser Suche befindet sich die junge, namenlose Protagonistin aus Barcelona. Sie arbeitet in einem universitären Projekt im Altersheim, in dem sie einen soziologischen Befragungsbogen mit den Bewohner*innen abarbeitet, wohnt in einer WG, in der so langsam alle anderen aus- und weitergezogen sind, und lebt in die Tristesse des Alltags hinein. Das Buch startet mit ihrer Geburtstagsfeier, die sie veranstaltet, um schwanger zu werden – und dafür trotz ihrer Queerness einen Mann zu verführen. Als die Schwangerschaft nicht eintritt, schmeißt sie ihren Job, hält sich kurzfristig mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser und entscheidet dann, das städtische Leben hinter sich zu lassen und in die Berge zu ziehen; allein, auf sich gestellt, die Rohheit der Natur zu erleben.
Das Begehren, ein Kind zu gebären, entkoppelt sie von Vorstellungen weiblicher Sorge oder Mutterschaft. „Es war nicht der Wunsch nach einem Kind, von dem ich besessen war, es war der Wunsch es auszutragen, zu spüren, wie in meinem Körper Leben entsteht, zu erschaffen.“ Vielmehr ist die Erzählerin wütend und irgendwie ziellos. Der Text erinnert an Filme wie Raw, Titane, The Substance und deren filmischer Ästhetik, die durch ihren horrenden Umgang mit weiblichen (schwangeren) Körpern eine Kritik an der Assoziation von Weiblichkeit mit Natürlichkeit, Jugend, Schönheit und Fürsorge schaffen, und reiht sich damit ein in eine Darstellung weiblicher Monstrosität. Heterosexueller Sex wird zu einem animalischen Akt der Unterwerfung und der schieren Notwendigkeit: „Es war langwierig, eklig, ein unglaubliches Gerüttel, wie eine Kutschfahrt oder ein epileptischer Anfall.“ Baltasars scharfe Sprache ist humoristisch, ohne die eingeschriebenen Gewaltverhältnisse abzuschwächen. Auch als die Protagonistin ein Sexarbeitsverhältnis eingeht, um sich das Leben in den Bergen zu finanzieren, besticht der Text durch seine präzise Analyse dieses Verhältnisses dank der Innensicht der Protagonistin: Die Sexarbeit wird eingereiht in eine Reihe unwürdiger Lohnarbeitsverhältnisse, unter der sie leidet, und schreibt sich trotzdem anders in ihre körperliche Selbsterfahrung ein.
Das Buch beeindruckt durch die Schärfe seiner Analyse sozialer Verhältnisse und der Erniedrigung weiblicher Körper. Die Aussteigerinnengeschichte darin lässt sich nicht auf eine Flucht aus der Gesellschaft zur Ursprünglichkeit der Natur verkürzen, sondern fällt zurück auf die Erkenntnis, dass es keine Flucht vor den Menschen und dem eigenen Verhältnis zu ihnen gibt. Auch wenn die Hoffnungen der Protagonistin auf die rohe Natur und das Erspüren des eigenen Körpers auf gewisse Art erfüllt werden, so kann sie den Verstrickungen von Arbeit, Körper und Geschlecht nicht entfliehen.
In all der Komplexität der hier aufgeworfenen Fragen bleibt der Text zugänglich und ist wirklich eine große Empfehlung. Baltasar schreibt sehr klar, präzise, mit einem scharfen, analytisch präzisen Ton und einer gleichzeitigen sprachlichen Poetik. Keine der Fragen wird der Leserin aufgedrängt – vielmehr erhalten wir durch die intensive Auseinandersetzung der Protagonistin mit sich selbst und durch ihre klare innere Stimme einen Einblick in die widersprüchlichen Begehren einer jungen, lesbischen, der Würdelosigkeit des Lebens trotzenden Frau.
Paula Blömers, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt