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Autor
Jarawan, Pierre

Ein Lied für die Vermissten

Untertitel
Roman
Beschreibung

Amin und seine Großmutter Yara kehren nach 12 Jahren Exil in Deutschland in die libanesische Heimat zurück. Der inzwischen 14jährige Junge bleibt zunächst ein Einzelgänger, er teilt die Erfahrungen der Gleichaltrigen nicht, deren Kindheit und Jugend komplett vom Bürgerkrieg geprägt ist. In der Schule freundet er sich mit dem einäugigen Jafar an. Mit ihm streift er durch die Ruinen Beiruts, Jafar erzählt ihm die unglaublichsten Geschichten aus dem Bürgerkrieg, und er lehrt ihn, die Hintergründe der Dinge zu erforschen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Berlin Verlag, 2020
Format
Gebunden
Seiten
464 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8270-1365-1
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. Sein Romandebüt „Am Ende bleiben die Zedern“ (2016), für das er Auszeichnungen und Preise erhielt, war ein Sensationserfolg und ist heute, übersetzt in viele Sprachen, ein internationaler Bestseller. Im März 2020 erscheint sein lang erwarteter neuer Roman „Ein Lied für die Vermissten“. Pierre Jarawan lebt in München.

Zum Buch:

Der neue Roman von Pierre Jarawan führt nach Beirut in die Jahre zwischen 1994 und 2006, die Zeit direkt nach dem libanesischen Bürgerkrieg.

Amin und seine Großmutter Yara kehren nach 12 Jahren Exil in Deutschland in die libanesische Heimat zurück. Der inzwischen 14jährige Junge bleibt zunächst ein Einzelgänger, er teilt die Erfahrungen der Gleichaltrigen nicht, deren Kindheit und Jugend komplett vom Bürgerkrieg geprägt ist. Er kennt keine Bombennächte, musste sich niemals vor Scharfschützen in acht nehmen und hat auch keine Leichen in den Straßen liegen sehen.

Seine Großmutter hat nicht mehr viel Zeit für Ihn. Sie, die in Deutschland depressiv und mutlos war, startet noch einmal neu. Sie eröffnet ein Café, beginnt wieder zu malen. Das Thema ihrer Bilder sind die Verschwundenen der Kriege in den verschiedensten Weltgegenden. Sie trifft sich mit anderen Angehörigen Vermisster in ihrer Wohnung, eine Art Familienersatz.

Amin versteht das alles zunächst nicht, die Großmutter erklärt ihm kaum etwas. In der Schule freundet er sich mit dem einäugigen Jafar an. Mit ihm streift er durch die Ruinen Beiruts, Jafar erzählt ihm die unglaublichsten Geschichten aus dem Bürgerkrieg, und er lehrt ihn, die Hintergründe der Dinge zu erforschen.

Dieser Roman wird nicht stringent erzählt. Der Ich-Erzähler lebt am Anfang des Romans als erwachsener Mann in den Bergen oberhalb Beiruts. Er hat sich vor den neu aufkommenden Unruhen in das ehemalige Haus seiner Großeltern, das Haus, in dem seine Mutter geboren wurde, zurückgezogen. Es ist das Jahr 2006.

Von hier ausgehend, verfolgt man mäandernd, in Rückblenden und Zeitsprüngen, den schmerzlichen Prozess, in dem Amin sowohl seine persönliche Vergangenheit als auch die des libanesischen Bürgerkriegs aufzuarbeiten versucht.

Er versucht zu verstehen, wie es zur Entfremdung zu seiner Großmutter kam, was eigentlich wirklich mit seinen Eltern passiert ist, die angeblich bei einem Autounfall ums Leben kamen. Und warum Jafar plötzlich ohne Abschied aus dem Libanon verschwand. Und was das alles miteinander zu tun hat.

Es gibt noch viele weitere Erzählstränge in diesem wunderbar geschriebenen Roman, die man hier gar nicht alle aufzählen kann. Das Buch ist unbedingt empfehlenswert, auch wenn man sich mit der furchtbaren Geschichte des libanesischen Bürgerkriegs und der Zeit danach nicht so gut auskennt. Leider ist es auch die immer wieder gleiche Geschichte davon, wie Kriege und alle Gräuel, die damit einhergehen, Familien zerstören, Menschen traumatisieren und ganze Länder in Schutt und Asche legen.

Nicht zuletzt ist es aber auch ein Roman über die Kraft und die Kunst des Geschichtenerzählens. Deshalb sei hier noch zitiert, wie Pierre Jarawan seinen Roman beginnen lässt:

„Yeki Bud. Yeki Nabud – Die besten, die ältesten Geschichten der Welt beginnen seit jeher auf diese Weise: Es war so. Und es war nicht so. Ein einzelner persischer Satz aus einer ganzen Schatzkiste persischer Sätze, aber dieser ist das Fundament. Die Triebfeder jedes Geschichtenerzählens. Der Beginn jedes Märchens. Jemand war dort. Und jemand war nicht dort. Es gab einmal eine Zeit, und es gab keine Zeit.“

Bettina Raue, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt