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Acqua alta

Autor
Autissier, Isabelle

Acqua alta

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen von Kirsten Gleinig
Beschreibung

Venedig ist ausgelöscht. Eine gewaltige Sturmflut hat die Lagunenstadt überrollt und unbewohnbar gemacht. Auf der Suche nach Frau und Tochter steuert der ehemalige Wirtschaftsrat Malegatti sein Boot durch die wenigen befahrbaren Kanäle und entsinnt sich einer Zeit, als es noch in seinen Händen lag, die bevorstehende Katastrophe abzuwenden. Wie auch die Entzweiung seiner Familie.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
mareverlag, 2024
Seiten
208
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-86648-708-6
Preis
23,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Isabelle Autissier, 1956 in Paris geboren und dort aufgewachsen, lebt heute in La Rochelle. 1991 machte sie Furore als erste Frau, die allein im Rahmen einer Regatta die Welt umsegelte. Seit den Neunzigerjahren widmet sie sich dem Schreiben und war von 2009 bis 2021 Präsidentin des WWF Frankreich. Zuletzt erschien im mareverlag ihr bei Publikum und Presse erfolgreicher Roman Klara vergessen (2020). Ihr Roman Herz auf Eis (mare 2017) war für den Prix Goncourt nominiert, wurde SPIEGEL-Bestseller und für das Kino adaptiert.

Zum Buch:

Dreißig Tage hatte es ununterbrochen geregnet. Dann kam der Sturm, von Süden her, der wie eine Urgewalt über die Küste hinwegfegte und die Lagunenstadt als Trümmerwüste hinterließ. Jahrhunderte alte, auf Pfahlreihen erbaute Gebäude stürzten ein oder lehnten hernach wie Betrunkene aneinander. Zahllose Kanalbrücken wurden von wie zu Dämmen aufgeschichteten Gondeln versperrt. Der Dogenpalast, das einstige Prunkstück der Stadt, ist eine einzige Ruine, die weltbekannte Seufzerbrücke über dem Rio di Palazzo eingestürzt, und von den beiden Löwen-Stelen am Ende der Piazzetta San Marco fehlt jede Spur. Das milliardenschwere, von der Regierung hochgelobte Sturmflutsperrwerk aus beweglichen Toren hat komplett versagt: Venedig, La Serenissima („Die Durchlauchtigste“), UNESCO-Weltkulturerbe und jährlich von unglaublichen fünf Millionen Touristen besucht, hat das Acqua Alta im Jahr 2021 nicht überstanden, ist ausgelöscht worden, ausradiert in einer einzigen Herbstnacht.

Der ehemalige Wirtschaftsrat Malegatti steuert sein Boot durch die verwaisten Kanäle. Er ist auf der Suche nach seiner als vermisst geltenden Frau und der gemeinsamen, 17-jährige Tochter, und die Stille, die wie ein Leichentuch über der entvölkerten Stadt liegt, setzt ihm beinahe mehr zu als das eigentliche Ausmaß der Zerstörung. In seinem Amt war er stets darum bemüht, die Stimmen derjenigen, die vor einem ansteigenden Meeresspiegel sowie den Auswirkungen der Touristenmassen warnten, dadurch zu beschwichtigen, dass er den Fokus auf die pekuniären Vorteile legte.

Doch jetzt, Monate nach der verheerenden Katastrophe, denkt er anders darüber und entsinnt sich viel mehr der Streitigkeiten mit seiner Frau, die dem alten Venedig nachhing, dem einstigen Glanz und der unverfälschten Pracht der Lagunenstadt, sowie an die endlosen, mit harschen Worten geführten Auseinandersetzungen mit der Tochter, deren unnachgiebige Sichtweise in puncto Nachhaltigkeit und Klimawandel sie zu einer erbitterten Gegnerin ihres Vaters gemacht hatte.

Malegatti verhält sein Boot an der ersten Biegung des Canal Grande. Betrachtet die eingestürzte Fassade des spätgotischen Palazzo Foscari, den seine Frau so sehr liebte. Dann wendet er das Boot, gleitet weiter durch die gespenstische Stille.

Mit wenigen Worten und auf betont zurückhaltende Weise gelingt es Isabelle Autissier, ein Schreckensszenario heraufzubeschwören, das in der Tat absolut vorstellbar ist. Gerade indem sie ihr Augenmerk weniger auf das Ausmaß der Zerstörung, sondern auf die durch gegenteilige Standpunkte entzweite Familie Malegatti legt, gewinnt die Geschichte mehr und mehr an Sogwirkung, gerät realistischer, dramatischer, eindringlicher, näher.

Axel Vits, Köln