Zum Buch:
Luna luna, mit vier weiteren Neuerscheinungen für den Preis der Leipziger Buchmesse 2020 nominiert, ist eine Tour de force der Sprache, der Bilder, ein großartiges, atemloses Porträt des modernen Menschen, verloren in der Dunkelheit eigener Ängste, stets Ausschau haltend nach einer Möglichkeit des Entkommens. Der kondensierte Text ist Porträt einer Zeit, in der die Perfektion in allen Bereichen, auch in der subtilen wie plakativen Gewaltbereitschaft und -ausübung, das Diktat übernommen hat. Kames wagt einen Aufschrei der Kunst gegen die Perfektion, gegen das Unwandelbare, gegen das Ersticken der Hoffnung im Keim, gegen das Dudendiktat der Rechtschreibung.
„jetzt bimmich eine scherbe.
jetzt brauche ich einen platz mich zuzuzutzeln
jetzt brauche ich ein versteck.“
Die zuweilen dunkle, zuweilen grelle Sprache wird unterlegt mit Lyrics bekannter Songs von Tom Waits, Annie Lennox, Bon Iver, Janelle Monáe, um nur einige zu nennen. Diese im Englischen belassenen Liedtexte werden zu Denkformen, mehr noch: Bei der Zweisprachigkeit – deutscher Text und seine Einbettung in englische Lyrics – sei es erlaubt, in diesem Zusammenhang einen vielschichtigen englischen Begriff zur Präzisierung zu benutzen: Die Lyrics sind „patterns“ – Bilder, Vorlage, Muster, Strukturen, Schablonen, Vorbilder, all das gleichzeitig. Sie geben Halt wie einst vielleicht Gebete.
Ohne das Mittel der Sprache wäre das Ich, das sich nicht – oder nur ab und zu – findet, eingesperrt in einen Tank mit schwarzen Wänden, ohne Türen, ohne Entkommen. Folglich sind die Buchseiten schwarz und die Schrift weiß: das einzig Sichtbare im Dunkeln. Schwarz steht aber auch für die Gewalt, die in das Leben Einzug hält, gegen die sich keiner wehren kann, weil sie mit dem Menschwerden kommt, mit der Geschichte der Menschen, mit den Kriegen, die wir geführt haben und führen, im Kleinen, im Großen. Schwarz steht auch für den Sheitan, das Satanische in der Welt. Bei Kames trägt er eine Basecap.
Pink dagegen ist die Farbe des absurden Optimismus – vielleicht gibt es sie ja doch: Liebe und Hoffnung; doch schon lange keinen Glauben mehr. Stattdessen Wahrheiten, die so grell sind, dass es wehtut. Dem Pink zugeordnet ist die Geisha, Hüterin der Künste, mehr ab- als anwesend.
Die Farben des Textes sind zu Farben des Buches geworden, eine Gestaltung, die den Schrei nach Gehört-, nach Gelesenwerden unterstreicht. Das ist in Zusammenarbeit mit der Autorin von der Druckwerkstatt p98a schlicht genial gestaltet und gleichzeitig Bild dafür, was Kames sprachlich meisterhaft gelingt: Das zutiefst Innere des Menschen nach außen zu kehren.
Susanne Rikl, München