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Kunst und Kapital sind im Wien der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert eng verflochten. Auch deshalb konnten Frauen wie die Modeschöpferin Emilie Flöge, die Journalistin Milena Jesenská oder die Schriftstellerin Veza Taubner (später Canetti) ihren Weg in einen eigenen Beruf erfolgreich beginnen. Lauwerys Porträt der Metropole lässt Szenen aus dem Leben dieser Frauen lebendig werden und durchleuchtet die Hintergründe von Aufstieg und Fall der Gleichberechtigung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Wenn die Damen in den Wiener Salons reihenweise in Ohnmacht fielen, lag dies nicht am umwerfenden Charme ihrer männlichen Begleitpersonen, sondern an den konventionellen Kleidervorschriften für die weibliche Bevölkerung zur Zeit der Habsburger Monarchie: Das Korsett ließ schlichtweg wenig Raum zum Atmen. Emilie Flöge, mit ihren beiden Schwestern vom bürgerlichen Vater vorsorglich in eine Schneiderlehre geschickt, eröffnet 1904 den Salon „Schwestern Flöge“. Beeinflusst von William Morris‘ Arts & Craft-Bewegung entwerfen die Schwestern Reformmode ohne Mieder, fließende Kleider, die die Wiener Mode revolutionieren. Die Wiener Bohème bestellt fortan die neue Villa bei Josef Hoffmann, ein Gemälde bei Gustav Klimt und die Damengarderobe bei den Schwestern Flöge. Gleichzeitig ist das Einkommensgefälle in Wien aber gewaltig und wächst beständig. Während die sozialistische Bewegung für die Anhebung der Löhne und gegen ausbeutende Arbeitszeiten kämpft, fließt die Hälfte aller Einkommen in die Hände von 10% der Wiener Bevölkerung.
1918 wird mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen in Österreich ein wichtiger Grundstein der Gleichberechtigung gelegt. Der Bekanntheitsgrad von Flöge, Jesenská und Taubner bleibt dennoch, auch heute, und nicht nur für Lauwerys, an den ihrer berühmten, zeitweiligen Partner gebunden. Die Frage, ob Flöge ohne ihre Beziehung zu Klimt ebenso erfolgreich gewesen wäre, ist berechtigt. Jesenská und Taubner starten in ihre Karrieren als schreibende Frauen ohne männliche Unterstützung, ihr Ruf aber wird im Lauf der Zeit weit hinter dem Kafkas oder Canettis zurückbleiben.
1934 schränkt die neue Verfassung die Rechte der Frauen wieder dramatisch ein.1938 schließt der Modesalon der Schwestern Flöge, 1939 fliehen Veza und Elias Canetti nach London, 1940 wird Milena Jesenská im Frauen-KZ Ravensbrück interniert. Der Wunsch nach dem „Sieg des Lichts über die Finsternis“, so der Titel des 1899 bei Gustav Klimt und Franz von Matsch für den Festsaal der Universität Wien bestellten Freskenzyklus, wird Wunsch bleiben. Die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der skizzierten Zeitspanne führen – treffend formuliert in Lauwerys Titel – vom Licht in tiefste Dunkelheit.
Susanne Rikl, München